Im Gespräch mit Bürgermeistern
über unterschiedliche Meinungen und Probleme
WARTENBERG / LAUTERBACH - Wartenberg und eine große Straße: Der Neubau der Ortsumgehung ist mit der Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. Der Bund hat damit den Bedarf der Umgehung, deren Planungsanfänge schon über 50 Jahre zurückliegen, anerkannt und die neue B 254 in seine Planungen bis zum Jahr 2030 mit aufgenommen. Das heißt noch nicht, dass die Finanzierung der Straße, die mit rund 64 Millionen Euro angesetzt ist, wirklich genehmigt wird.
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Doch der Bau der Umgehungsstraße wird damit „nicht konkret, aber konkreter”, wie Wartenbergs Bürgermeister Dr. Olaf Dahlmann gerne in dem Zusammenhang immer wieder erklärt. Im Gespräch mit ihm und Lauterbachs Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller über die Folgen der Ortsumgehung für die Stadt und die Gemeinde wird allerdings schnell deutlich, dass die Grundvoraussetzungen – trotz der kurzen Distanz zwischen den beiden – grundsätzlich unterschiedlich sind.„Die Ausgangslage muss differenziert gesehen werden”, erklärt Rainer-Hans Vollmöller, der im Übrigen nicht an eine verbindliche Zusage bis 2030 glaubt, wie er am Rande des Gesprächs bemerkt. „Die Entlastung vom Verkehr ist für die Wartenberger weitaus höher zu bewerten als für die Lauterbacher.” An der jetzigen Umgehungsstraße in Lauterbach lebten nämlich ungleich weniger Menschen als an der Bundesstraße durch Wartenberg. „Wenn damals jedem, der in Lauterbach oben an der Straße baute, zwei Meter Grundstück abgezogen worden wären, um einen Standstreifen und eine Linksabbiegerspur zu bauen – hätte man sich heute vielleicht fragen können, ob für diesen Bereich eine neue Umgehungsstraße überhaupt notwendig sei”, denkt Vollmöller an die Zeit zurück, als dieses noch regulierbar gewesen wäre.
Jetzt sind die Zeiten allerdings andere. Sorgen um die Geschäfte in und um Lauterbach macht sich Vollmöller dennoch keine: „Wenn ich die Ortsumgehung als verkehrsentlastenden Bereich sehe, dient sie doch vor allem dem überregionalen Verkehr.” Dass die Umgehung die Wirtschaft in der Stadt hemme, glaube er nicht. Hauptbetroffene von der neuen Straße seien die Tankstellen und der Autoservice. Das Problem der Innenstadtentwicklung sehe er eher im generellen Umbruch zu Gunsten des Onlineshoppings. In Zeiten der Filialisten ohne Ortsbezug, in denen es immer weniger individuelle Geschäfte gebe, rechne er der Innenstadt trotzdem gute Chancen aus. „Denn die Menschen brauchen eine Kommunikationsplattform.” Zudem hätten Umfragen bereits gezeigt, dass sich Händler im allgemeinen oft selbst schlechter sähen als ihre Kunden dies täten. Sie müssten also daran arbeiten, das Gefühl, die Qualität und die Nachhaltigkeit wieder rüberzubringen. „Was das angeht – ich entschuldige mich, dass ich das so sagen muss – sind wir ein Volk von Jammerern geworden.” Es stünde nämlich nicht immer alles so schlecht, wie es manchen scheine.
Schon seit den 1970er Jahren ist der Neubau der Ortsumgehung immer wieder Thema in Lauterbach. Vollmöller kann sich an die Diskussionen schon aus seiner Zeit als „Stift“ bei der Stadt erinnern. „Seitdem waren die Befindlichkeiten immer unterschiedlich. Nur die Grünen sind ihrer Meinung immer treu geblieben.” Um die aktuelle Stimmung in der Lauterbacher Bevölkerung zu erfahren, hält Vollmöller allerdings nichts von einem Bürgerentscheid, wie er gelegentlich in der Wartenberger Diskussion ins Spiel gebracht wurde. „Man kann sich nicht immer hinter Bürgerentscheiden verstecken. Die Planungen wurden im Laufe der Zeit immer wieder angepasst. Wir haben auch Einiges erreicht, zum Beispiel, dass die Straße jetzt weiter von den Anliegern ,Am Stück‘ entfernt ist. Wenn repräsentative Demokratie funktionieren soll, dann müssen wir sie auch anwenden.”
Auch in Wartenberg ist das Thema „Bürgerentscheid oder „Bürgerbefragung“ – im Moment – vom Tisch. Die Gemeindevertretung entschied sich nach engagierter Diskussion über das Pro und Contra für die Erstellung eines aktuellen Gutachtens durch einen Fachmann, der von einem breit zusammengesetzten Gremium beauftragt werden soll. Dies soll, so Bürgermeister Olaf Dahlmann, den Vorgang möglichst transparent machen. Ihm gehe es in dieser Sache vor allem darum, auf mögliche Folgen der Ortsumgehung aufmerksam zu machen – positive wie negative. „Wartenberg hat sich, historisch gesehen, an der Bundesstraße entlang entwickelt.” Während es in Landenhausen mit dem Dorfbräuhaus und der Dorfschänke im Zentrum eine Ortsmitte gebe, wo sich die Leute träfen, fehle solch ein zentraler Mittelpunkt in Angersbach. Das sei zum Beispiel einer der Punkte, die es anzugehen gelte, wenn die Ortsumgehung kommen sollte. „So etwas ist für die Entwicklung eines Ortsteils elementar. Genauso wie die Bereiche ,altersgerechtes Wohnen‘, mögliche Leerstände, eventuell neue Grundstückszuschnitte, um den Ortskern wieder zu beleben. Es geht aber auch um Arbeitsplätze. Bäcker und Metzger leben zu 60 bis 70 Prozent vom Durchgangsverkehr. Natürlich ist bei manchen Geschäftsleuten entlang der Straße die Zukunft aus Altersgründen eher ungewiss. Doch was machen wir dann mit dem Leerstand? Da wird eine Nachfolgersuche schwierig, und an Attraktivität gewinnen wir dadurch auch nicht.” Besonders die „Landenhäuser Seele” habe nicht zuletzt in den vergangenen Monaten durch den Wegfall der Einkaufsmöglichkeit und der Bargeldversorgung im Ort viel Wegbruch erlebt, „doch ich würde das nicht so trüb sehen; wir machen da auch andere Erfahrungen: Wir halten unsere Einwohnerzahl stabil, wir verkaufen auch in Landenhausen weiterhin Bauplätze, das Dorfbräuhaus hat sich etabliert. Nicht zuletzt unterhalten wir ein Schwimmbad – weil wir es uns leisten können und wollen”.
Wartenberg könne sich aber nicht auf der „Liegestuhlposition” ausruhen, so Dahlmann. „Es gibt jetzt bereits Aussagen von Gewerbetreibenden, die sagen: Wir sind nicht mehr da, wenn die Straße kommt. Und das nicht alters-, sondern unternehmensbedingt. Und Politik muss auf solche Belastungen und Veränderungen hinweisen.” Dem stimmt auch Vollmöller zu: „Wie die Entscheidung nun ausfällt, aus dieser Entscheidung heraus muss neu gestaltet werden. Wenn Wartenberg die Ortsumgehung ablehnen würde, hätte das auch auf uns direkte Auswirkungen. Der innerörtliche Verkehr müsste sich in jedem Fall ändern.”
Der Vogelsberg mit seinen rund 105 000 Einwohnern konkurriere direkt mit Fulda – allein am Petersberg wohnten 100 000 Einwohner. „Da muss man auch sagen, dass Wartenberg sich auch auf Lauterbach verlassen kann: Musikschulen, Bücherei und viele Sportmöglichkeiten – durch die direkte Nähe hat Wartenberg auch eine Sonderstellung.” Die Aufgabe für die Zukunft sei für beide Kommunen, sich fit für die Zukunft zu machen, und dabei gehe es nicht nur um die bloße Bedarfsdeckung, sondern um die gesamte Infrastruktur. „Wir müssen auf jeden Fall Konzepte entwickeln”, betont auch Dahlmann. „Ich teile die Auffassung nicht, dass wir uns nicht weiterentwickeln können, weil wir nicht wissen, ob die Ortsumgehung kommt. Es gibt viele kleine Puzzleteile – ob es nun der innerörtliche Lückenschluss, bezogen auf Leerstände, ist, oder etwas anderes. Mein Ziel ist es, einzelne Dinge jetzt anzuschieben. Zum Beispiel: Was sollen wir mit der Bundesstraße machen, die nach dem Bau der Umgehung weitgehend an uns zurückfällt. Es gibt da viele Ideen, und ich sehe da Potential, das gehoben werden muss. Wenn zum Beispiel in Landenhausen klar ist, was bedeuten 700 Meter Ortsdurchfahrt? Dann kann sich auch innerörtlich etwas entwickeln. “
Es werden sicherlich noch viele Diskussionen zur Ortsumgehung folgen. „Das ist in Lauterbach eigentlich ein Dauerthema”, blickt Rainer-Hans Vollmöller zurück. „Eigentlich vor jeder Wahl. Doch ich denke, wenn einmal eine Entscheidung getroffen ist, dann sollte der Deckel auch zu bleiben.” Zudem lasse der weit fortgeschrittene Verfahrensstand eine andere Beurteilung gar nicht mehr zu.
In Wartenberg ist die Schärfe, mit der im Moment zum Teil diskutiert wird, dagegen recht neu. „Ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine”, betont Olaf Dahlmann. Zwei Fraktionen des Parlaments seien ebenfalls dafür, die Gegebenheiten und mögliche Folgen nochmals aktuell untersuchen zu lassen. „Mein Ansatz ist der, dass ich versuche, transparent zu machen, wohin mit mir die Reise geht. Mit meiner kritischen Haltung zur Ortsumgehung war mir bewusst, dass ich für Unruhe sorgen könnte. Aber eine klare Positionierung ist immer das Beste, zumal ich auch oft nach meiner persönlichen Meinung gefragt worden bin.” Dennoch gelte der aktuelle Beschluss des Parlaments, das sich für eine Ortsumgehung ausgesprochen hat, nach wie vor. Das Gutachten solle lediglich ergebnisoffen auf alle möglichen Vor- und Nachteile aufmerksam machen, „damit die Bürger wissen, was auf sie zukommt”.
Bericht | Annika Rausch
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