Fakten, Meinungen und eine halb leere Halle


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Das Publikum schien - wie erwartet - zweigeteilter Meinung zu sein

WARTENBERG - Das Publikum war nicht so groß, wie erhofft. Trotz 150 Zuhörern blieben viele Stühle bei der öffentlichen Vorstellung des Gutachtens zu den Auswirkungen der geplanten Umgehungsstraße auf Wartenberg leer. Dennoch wurde rund zweieinhalb Stunden im Wartenberg Oval eine hoch konzentrierte Diskussion geführt - denn diejenigen, die im Zuschauerraum saßen, kannten sich bestens mit der Thematik aus.

PhotoEtwa 150 Zuschauer waren gekommen, um sich die Ergebnisse des Gutachtens präsentieren zu lassen. Viele Stühle blieben allerdings leer, da die Gemeinde mit deutlich mehr Besuchern gerechnet hatte.


Fotos | Claudia Kempf

PhotoBernd Wahl, Vorsitzender der Wartenberger Gemeindevertretung, Bürgermeister Dr. Olaf Dahlmann sowie Katharina Oppenberg und Jean-Marc Stuhm vom Planungsbüro "StadtVerkehr" (von links) übernahmen die Regie der Bürgerversammlung im Wartenberg Oval.

"Ganz gleich, wie Sie zur Ortsumgehung stehen: Das Gutachten zeigt künftige Kosten und künftige Anliegerbeiträge. Es geht auf Fragenstellungen ein, die so noch nicht in den Gremien erörtert wurden", betonte Bürgermeister Dr. Olaf Dahlmann gleich zu Beginn der Bürgerversammlung.

 

Diplom-Ingenieur Jean-Marc Stuhm, Geschäftsführer und Leiter des Hildener Planungsbüros "StadtVerkehr", fasste das 73-seitige Gutachten, für das die Gemeinde 70.000 Euro investiert hatte, kurz zusammen (der LA berichtete gestern). Die Empfehlung des Büros wies in Richtung "Variante C" - des Baus der Ortsumgehung mit ergänzenden Maßnahmen zur Infrastruktur. Der Fachmann ging aber auch auf einige Dreh- und Angelpunkte ausführlicher ein und scheute keine konkreten Prognosen - auch wenn sie manchem Zuhörer sicher nicht gefielen. So bescheinigte er dem Einzelhandel "langfristig nicht überlebensfähig zu sein" - heute werde innovativer und großflächiger geplant. "Selbst wenn die Bundesstraße bliebe, wird der Einzelhandel in fünf, sechs Jahren der Verlierer sein." Denn speziell in diesem Bereich sei derzeit vieles in Bewegung. Und das sei sehr schade, denn "Wartenberg ist einer der attraktivsten Gewerbestandorte im Vogelsberg", betonte Stuhm auch im Hinblick auf die Nähe zu Fulda und Lauterbach. Und wenn Wartenberg sich planerisch frühzeitig umstelle, könnten durch die Ausweisung neuer Wohngebiete und die Belebung der Ortskerne auch mehr Zuzüge in die Gemeinde generiert werden.

 

Zahlreiche Bürger aus dem Publikum nutzten auch die Möglichkeit, den Planungsbürovertretern Fragen zu stellen. Zur Frage der Lärmbelastung der Anwohner durch die neue Straße, die in mehreren Varianten gestellt wurde, betonte Stuhm beispielsweise, dass die Werte in einer Untersuchung von Hessen Mobil genauestens ausgewertet worden seien und alle Grenzwerte unterschritten. Zumal diese bei neu angelegten Straßen viel schärfer seien, als im bestehenden Straßenbestand. Es dürfe jedoch nicht vergessen werden, dass "Wartenberg aktuell in der Region am höchsten belastet ist, was Lärm und Feinstaub betrifft".

Photo"Voller Fehler" - Dietmar Schnell ging mit dem Gutachten hart ins Gericht.


Hart ins Gericht mit dem Gutachten ging Dietmar Schnell aus Angersbach. Die Untersuchung strotze nur so von Fehlern - sachlich und grammatisch - und zeuge nicht von großer Sorgfalt. Ferner zweifelte er Stuhms Prognose für den Einzelhandel an und wies darauf hin, dass der Verkehr sich in den nächsten Jahren ohnehin grundlegend ändern werde.

 

"Ich habe versucht aufzuzeigen, dass die jetzigen Standorte Einbußen erleiden werden", antwortete der Ingenieur unter anderem mit Bezug auf die veränderten Einkaufsgewohnheiten und die schwierige Suche nach Geschäftsnachfolgern. "Es geht darum, die großen ,Vollsortimenter' langfristig zu halten." Und heute würden Märkte nun mal viel großflächiger geplant, vielfach in der Kopplung mit anderen Geschäften, um ein möglichst großes Warenangebot an einem Ort bieten zu können. "Keiner kann ihnen garantieren, dass die jetzigen Einzelhandelstandorte für immer und ewig bleiben", erklärte der Planer an anderer Stelle und sah für die nächsten fünf bis zehn Jahre große Veränderungen voraus - auch ohne Ortsumgehung.

 

Auch zum Thema "Mobilität", das mehrfach angesprochen wurde, traf Stuhm eine klare Aussage: "Das Thema Elektro-Autos ist mir natürlich vertraut. Doch man muss das nüchtern betrachten: Es gibt heute 45 Millionen Autos, und bis 2030 wird von einer Prognose von nur zwei bis drei Millionen E-Fahrzeugen ausgegangen." Es gebe in diesem Bereich einfach noch viele ungeklärte Fragen - zum Beispiel was den Lkw-Verkehr betreffe. "E-Mobilität ist nicht das Allheilmittel", warnte Stuhm. "Darauf können wir nicht warten. Die Belastung ist jetzt schon sehr hoch."

 

Das Publikum schien - wie erwartet - zweigeteilter Meinung zu sein. Zahlreiche Bürger beschränkten sich nicht nur auf Fragen, sondern äußerten einfach ihre Erwartungen und Befürchtungen. So wurde angemerkt, dass sich ein Einzelhandelsgeschäft wie Rewe, das in Lauterbach und Angersbach vor Ort sei, in Zukunft sicher nur auf einen Standort konzentrieren werde. Und das werde sicher Lauterbach aufgrund des größeren Einzugsgebiets sein. Auch die zu geringe Zeitersparnis durch die Umgehung wurde kritisiert. Ferner wurde ein Bürgerbegehren befürwortet, ein weiterer Zuhörer verwies auf die bestehende gute Entwicklung der Gemeinde, die auch ohne Umgehung so weiterlaufen könne. Ferner wurde angezweifelt, ob die angedachten Maßnahmen tatsächlich im Endeffekt für Zuzug oder Geschäftsansiedlungen sorgen würden. So meinte Umgehungsstraßenkritiker Dr. Reinhard Fehl beispielsweise: "Die Prognose ist vernünftig aber keine Garantie."


Die Wortmeldungen der Befürworter der Umgehung fielen zahlenmäßig geringer aus, da ihnen das Gutachten mit seiner Kernaussage ohnehin in die Hände spielt. Dennoch wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass die "Variante C" später - bei fälligen Reparaturen - im Durchschnitt 3.000 Euro Anliegergebühren pro Grundstücksbesitzer bedeuten würde, die Variante B schlüge mit 9.000 Euro zu Buche. Außerdem wurden Dipperz und Großenlüder mit ihrer Umgehung als gelungenes Beispiel genannt. "Wenn man sich ein bisschen Gedanken macht, gibt es doch viele Möglichkeiten, etwas zu bewegen", äußerte eine Zuhörerin zum Schluss der Sitzung. "Denn jetzt wurden auch mit der Bundesstraße schon viele Geschäfte geschlossen."

 

Großer Kostenpunkt für die Gemeinde ist die Frage der Umstufung der Abschnitte der Bundesstraße zu Gemeinde- oder Kreisstraßen. Hierzu erklärte Bürgermeister Olaf Dahlmann, dass das Gutachten mit seinen nun vorliegenden belastbaren Zahlen an dieser Stelle Bewegung in die Sache gebracht habe. Im Gegensatz zu vorher zeigte sich der Kreis nun verhandlungsbereit. "Der Druck, der jetzt auf dem Kessel ist, muss erhalten bleiben und gesteigert werden", betonte Dahlmann, "um das Beste für Wartenberg herauszuholen".

 

"Eine Gemeinde kann sich nur weiterentwickeln, wenn sie junge Leute anlockt", empfahl Jean-Marc Stuhm generell während der Diskussion. "Mit der Variante C möchten wir Ihnen ihre Zukunftsfähigkeit aufzeigen. Sie müssen dies bitte als Chance sehen." Zeit für planerische Aufgaben im Vorfeld bestünde noch ausreichend. Es sei natürlich keine Frage, dass die Trasse einen Eingriff in die Landschaft darstelle. Doch Hessen Mobil habe sich bemüht, die Straße landschaftsverträglich anzulegen. Man dürfe die Straße eben nicht nur am Fuße einer zehn Meter hohen Brücke betrachten, sondern müsse sie auch aus der Distanz sehen.

FILM ZUR UMGEHUNG

Die Visualisierung der geplanten Umgehungs-straße von Hessen Mobil wird voraussichtlich am Dienstag, 16. Januar, um 19 Uhr im Wartenberg Oval vorgestellt werden.


Bericht | Annika Rausch



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